Maritime Entdeckung und Expansion by Raimund Schulz

Maritime Entdeckung und Expansion by Raimund Schulz

Autor:Raimund Schulz
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter De Gruyter
veröffentlicht: 2019-07-15T00:00:00+00:00


III. Die Ethnographie der Kelten

Das Ozeanbuch und die Historien richteten sich in erster Linie an ein gebildetes, griechisches Publikum und werden in Rom nur von einigen Mitgliedern der Elite gelesen worden sein.883 Sicherlich enthalten die Werke einige unterhaltende Passagen884, doch dienten diese der Popularisierung der Schriften und der Verbreitung der Lektüre. Den vielleicht eindrucksvollsten Teil der hier enthaltenen gallischen Ethnographie bilden die Schilderungen der Bankette. Der Text ist nur in gekürztem Zustand bei dem Universalhistoriker Diodor (1.Jahrhundert v.Chr.) und dem kaiserzeitlichen Gelehrten Athenaios (2./3.Jahrhundert n.Chr.) erhalten, doch bietet er selbst in dieser Form noch reiche Details. Poseidonios hat dabei eine griechische Sicht auf die Kelten abgebildet, in der sich seine philosophischen Überzeugungen, der Einfluss der ethnographischen Tradition und der Eindruck seines römischen Hintergrundes wiederfanden885:

„Die Gallier sind hochgewachsen, mit aufgeschwemmten Muskeln886 und von weißer Hautfarbe.887 Ihr Haar ist nicht nur von Natur aus blond, sondern sie verstärken die eigentümliche Farbe mit künstlicher Behandlung. Sie reiben die Haare ständig mit Kalkwasser ein und streichen sie von der Stirn nach oben gegen den Scheitel und die Nackensehnen, so dass sie im Aussehen Satyrn und Panen gleichen. Das Haar wird nämlich dick durch diese Behandlung und unterscheidet sich nicht mehr von einer Pferdemähne. Einige rasieren sich, andere lassen die Barthaare ein wenig wachsen. Die Vornehmen rasieren die Wangen, lassen aber die Haare auf der Oberlippe wachsen, so dass sie den Mund bedecken. Wenn sie essen, geraten die Haare deshalb in die Speisen, und wenn sie trinken, fließt das Getränk wie durch ein Sieb.“888

Zu Beginn beschreibt der Autor das physische Erscheinungsbild der Kelten, was für die griechische Ethnographie ungewöhnlich ist.889 Auch die Detailfülle ist auffällig und Ausdruck seiner Autopsie, mit der er seine Vorgänger zu übertreffen suchte.890 Die Gallier werden als ein Volk am nördlichen Rand der oikumene beschrieben, das sich stark von Griechen und Römern abhebt.891 Das Vergleichsangebot ist für den Leser schon fast zwangsläufig. Die Kelten erscheinen nicht nur als großgewachsen und blond, sondern verstärken diesen fremdartigen Eindruck noch einmal bewusst. Auch deshalb vergleicht Poseidonios sie mit halbmenschlichen Fabelwesen wie den Satyrn.892 Diese Topoi basierten auf der unter anderem im Corpus Hippocraticum und bei Aristoteles besprochenen Klimatheorie. Sie wies den Völkern des Nordens einen hohen Körperwuchs zu: Aufgrund der Kälte und der schwachen Sonneneinstrahlung würde den Leibern keine Feuchtigkeit entzogen werden.893 Im Zusammenspiel mit feuchter Luft schwemmten die Körper der Menschen demnach zu unglaublicher Größe auf. Doch nicht nur die Körper, auch der Charakter der Bewohner des Nordens war vom harschen Klima geprägt: Da sie an dieses gewöhnt waren, verfügten sie über Leidenschaft und Mut im Krieg, aber auch nur über geringe Ausdauer und eine eingeschränkte zivilisatorische Entfaltung.894

Die anschaulichste Darstellung dieser Topoi aus der Zeit vor Poseidonios fand sich in Pergamon, wo König Attalos I. zur Feier seiner militärischen Erfolge eine Statuengruppe im Heiligtum der Athena hatte ausstellen lassen, die sogenannten „Großen Gallier“.895 Mit ihren gekalkten Haaren, den Schnurrbärten und dem allgegenwärtigen Schmuck, aber vor allem mit ihrem übertriebenen Pathos und einem Übermaß an Bewegung896 entsprachen diese Bildnisse den in der Literatur bekannten Topoi über die Nordvölker.



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